Arbeit am Leitbild

Bin ich der einzige, der diesen neuen Medienkodex des Netzwerks Recherche für ein überflüssiges und in Teilen sogar ärgerliches Machwerk hält? Der Regelkatalog ist eine Mischung aus Banalitäten des Typs “Edel sei der Mensch, hilfreich und gut”, die darüber hinaus schon an anderen Stellen (zum Beispiel im Pressekodex) festgehalten sind, und fragwürdigen Glaubenssätzen.

Das fängt schon mit der Präambel an: “Neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus.” Welche “neuen Technologien” sind denn hier gemeint? Doch nicht etwa das Internet? Da uns keine weitere Begründung geliefert wird, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass hier Old-School-Ängste transportiert werden, wie sie neue Medienentwicklungen immer begleiten. Ein normativer Anspruch lässt sich aus sowas kaum ableiten.

Dann die Regel 5: “Journalisten machen keine PR.” Man muss genau hinschauen. Es heißt hier nicht: “Journalisten machen keine versteckte PR”. Es heißt auch nicht: “Journalismus und PR sind sorgfältig zu unterscheiden.” Nein, hier wird ein Sündenfall definiert: Ein Journalist, eine Journalistin, die sich dazu hinreißen lassen, auch einmal einen PR-Auftrag zu übernehmen, verwirken damit das Anrecht, sich Journalisten zu nennen – auch dann, wenn sie sich in ihrer journalistischen Arbeit vollständig an die Regeln halten und alle notwendige Sorgfalt zur Anwendung bringen.

Da kann man wirklich nur fragen: In welcher Welt lebt ihr eigentlich in eurem Netzwerk? Kennt ihr nur eure finanziell gut gepolsterten SWR- oder SZ-Redaktionsstuben? Wisst ihr überhaupt, wie die Arbeitsbedingungen für freie Kollegen aussehen? Was für ein Privileg es ist, wirklich journalistisch arbeiten zu dürfen? Ein Privileg, das man sich angesichts katastrophaler Zeilenhonorare in den meisten Fällen querfinanzieren muss?

Aber darum geht es noch nicht einmal. Selbst in einer besseren möglichen Welt, in der journalistische Arbeit angemessen bezahlt würde, spricht meines Erachtens nichts dagegen, beides zu machen: Journalismus und PR – solange man die Tätigkeiten sorgfältig auseinander hält und in beiden Fällen die Qualitätsstandards seines Aufgabenfelds beachtet. Das ist sicher nicht immer einfach. Aber es wäre hilfreicher, wenn man darüber offen miteinander reden würde, statt pauschal alle Journalisten, die auch PR betreiben, zu verurteilen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin Verfechter eines strengen Trennungsgebots zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt. Ich bin außerdem der Meinung, es sollte bei deutschen Medien viel mehr redaktionelle Kodizes geben, die die Maßstäbe explizit machen, an die man sich zu halten verspricht. Eine platte Regel wie “Journalisten machen keine PR” halte ich dabei aber nicht für hilfreich.

Problematisch finde ich auch Regel 7: “Journalisten unterscheiden erkennbar zwischen Fakten und Meinungen”. Diese Regel erlegt dem Journalismus eine viel zu rigide Form auf. Wo bitte, außer vielleicht im starren Korsett einer altmodischen Tageszeitung lässt sich dieses Prinzip wirklich aufrechterhalten? Es ist schon im Grundsatz fragwürdig: Die Darlegung von Fakten ist nie frei von Meinung. Kommunikation ist immer selektiv und perspektivisch. Und wenn ich Meinung kundgebe, dann gewinnt diese an Gewicht, wenn ich sie mit Fakten hinterlege. Der reale Journalismus hat sich daher auch nie wirklich um diesen Blödsinn geschert. Viele exzellente Reportagen, ganze Hochqualitätsmedien wie der Economist leben von der Vermischung von Bericht und Position.

Natürlich ist etwas dran: In den meisten Fällen sollte der Journalist sich selbst zurücknehmen, statt dessen andere relevante Sichten auf ein Thema identifizieren und zu Wort kommen lassen. (Eine Aufgabe, die gerade älteren Kollegen zunehmend schwerer zu fallen scheint – man denke etwa an Peter Scholl-Latour…). Aber das ist eher eine Optimierungsaufgabe, und je nach Format und Kontext kann der eigene Anteil eine ganz unterschiedliche Rolle spielen. Eine pauschale Trennung von Fakten und Meinungen ist nicht aufrechtzuerhalten und ist auch gar nicht wünschenswert. Viele sehr lebendige journalistische Formen leben von einer Mischung aus Information und Subjektivität.

Also, liebe Netzwerker: Ihr würdet dem deutschen Journalismus einen größeren Gefallen tun, wenn ihr eure Erfahrung für die differenzierte Beurteilung konkreter Einzelfälle zur Verfügung stelltet. Zum Beispiel mit der Einrichtung eines weiteren Watchblogs à la BildBlog. Stichwort: “neue Technologien” – die können durchaus segensreich sein, wie ihr ja selbst in diesem Fall anerkennt. Da könnte man dann im Einzelfall und ganz konkret sehen, was immer wieder schiefgeht im Journalismus. Gerne auch am Beispiel von Online-Publikationen. (Obwohl ich glaube, dass die konventionellen Medien genug Angriffsfläche bieten.)

Disclaimer: Ich unterrichte an einem Studiengang, bei dem sowohl Journalismus als auch PR auf dem Lehrplan stehen. Wir geben uns große Mühe, unseren Studenten den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen deutlich zu machen.

Handelsblatt goes underground

Gestern meine erste (passive) Weblog-Lesung. Nicht in einer Berliner Kneipe, wo man diese Art von Veranstaltung natürlicherweise verortet, sondern in einem Keller-Kino an der Düsseldorfer Königsallee.

Nett war’s, wirklich, entspannt und lustig. Die Damen Modeste und Nuf, die Dons im Quadrat, Thomas (“Robbiiiiieee!”) Knüwer und ix lasen aus Erinnerungen, Polemiken und Mütterbeschwichtigungen. Eine angehende Literaturwissenschaftlerin rannte mit dem Spiralblock durchs Foyer und wurde für eine Lokalreporterin gehalten. Man wunderte sich jedoch über ihren schier endlosen Fragenkatalog: “Das alles auf 60 Zeilen?” Den Spiralblock hat ihr Gott sei Dank niemand streitig gemacht.

Eine eilige Nachtfahrt brachte mich gerade noch rechtzeitig zurück nach Frankfurt. Einen Dank an die Veranstalter. Macht sowas gerne nochmal.

Kleine Bewegungen auf einem sinkenden Schiff

Francis Fukuyama kehrt den NeoCons den Rücken? Ich glaube nicht, dass ihn mir das sympathischer macht. Jemand, der allen Ernstes das “Ende der Geschichte” verkündet hat, kann nur ein Depp oder ein übler Ideologe sein. Dass er 1997 zusammen mit Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Jeb Bush ein Manifest mit dem Titel ‘The New American Century Project’ unterzeichnet hat, war mir bislang entgangen.

(Fukuyamas aktueller Artikel beginnt übrigens mit dem Satz: “As we approach the third anniversary of the onset of the Iraq war, it seems very unlikely that history will judge either the intervention itself or the ideas animating it kindly.” Meine Hervorhebung.)

Die Nachricht des Tages

Bill Emmott, Chefredakteur des Economist, ist zurückgetreten! Das hat eine ähnliche Bedeutung, als wenn Tony Blair zurückgetreten wäre. Obwohl – nein, wenn Blair zurücktritt, ist klar, dass Gordon Brown die Geschäfte übernimmt. Dieser Rücktritt ist spektakulärer.

Bill Emmott ist so alt wie ich, 49. Er ist seit 1980 beim Economist und seit 1993 Chefredakteur. Unter seiner Leitung hat sich die Leserschaft mehr als verdoppelt. Er hat aus dem Blatt ein wirklich globales Medium gemacht. Und er hat sich unter anderem auf dramatische Weise mit Silvio Berlusconi angelegt.

Ein Problem scheint Emmotts ausgeprägter und mitunter tendenziöser Philo-Amerikanismus gewesen zu sein. Lange, viel zu lange, hielt er an Bush jr. fest, nötigte die Redaktion immer wieder zu offener Parteinahme. Gelegentlich spürte man auch als naiver Leser den Widerstand im eigenen Hause. Vergleichsweise offen kam das in der Jubiläumsausgabe im November 2003 zur Sprache, als die scheidende Redakteurin Barbara Smith (sie war seit 1956 beim Economist gewesen – dem Jahr, in dem Emmott und ich zur Welt gekommen sind) zurückblickend über die Diskussionen zum Beginn des aktuellen Irak-Kriegs schrieb: “The paper was painfully split”.

Vielleicht war es diese Frage, die Emmott jetzt zum Rücktritt bewog oder sogar zwang. Vielleicht blieb ihm, angesichts Bushs katastrophaler Amtsführung, nach allem nichts anderes übrig, als zu gehen. Es würde für den Economist sprechen – eine der wenigen Publikationen, die Position beziehen und darüber hinaus den Anspruch verfechten, dass diese Positionen auf rationalem Weg zustande kommen.

Emmott jedenfalls will jetzt Bücher schreiben, zum Beispiel über die Rivalität zwischen Japan und China. Nicht gerade unverfänglich. Aber auch nicht so riskant wie das transatlantische Verhältnis – zumindest aus europäischer Perspektive.

Boah, ist die dick, Mann!

Die ZEIT wird 60. Gelegenheit, sie mal in Schutz zu nehmen gegen einen wirklich dummen Vorwurf, der geradezu reflexhaft immer wieder gegen diese Zeitung hervorgebracht wird: “Die ZEIT”, heißt es dann immer, “die habe ich während meines Studiums gelesen – billiges Studentenabo, Sie verstehen. Jetzt lese ich sie nicht mehr, sie ist mir einfach zu umfangreich. Das schafft man ja nie, die von Anfang bis Ende durchzulesen.” So als müsse man es diesem Blatt vorhalten, dass es nicht mit deutschem Geiz und Gründlichkeitswahn kompatibel ist. Mit dem Zwang, alles von A bis Z auch zu konsumieren, wofür man schließlich Geld ausgegeben hat.

Verständlicher hingegen finde ich eine andere Vorhaltung, die nicht selten in Kombination mit der ersteren dargebracht wird: sie bezieht sich auf das unhandliche Format der Zeitung. Zumindest am Anfang, habe ich mir erzählen lassen, als die ZEIT vor ein paar Jahren mit dem neuen Format der Literaturbeilagen experimentierte, gab es jedesmal eine Flut von Leserbriefen, die genau diese handliche Größe auch für die Mutterpublikation einforderten. Dieser Forderung schließe ich mich an. Ich möchte endlich auch ohne peinliches Hantieren die ZEIT im ICE lesen können. Wie man aber die “gefühlten 327 Seiten Umfang” auf halber Größe unterbringen soll, weiß ich auch nicht. Und so werden wir wohl weiterhin mit dem Großformat leben müssen.

Dieter Buhl, ehemaliger Washington-Korrespondent und ZEIT-Urgestein, hat es mir einmal so erklärt: In der Nachkriegszeit waren zunächst auch die Zeitungen dünn. Als dann der Wohlstand einbrach, war man so stolz auf den Zuwachs an Umfang seiner Presseorgane, dass man sogar in der Werbung für teure Aktenkoffer eine große, dicke ZEIT aus der Seitentasche herausschauen ließ. Das waren die glücklichsten Zeiten am Speersort. Davon könne man sich nun nicht so ohne weiteres freiwillig verabschieden.

Krauts und Rüben

Der Economist ist sicher eines der wenigen globalen Leitmedien. Regelmäßig gibt es darin sogenannte “Surveys”, gründlich recherchierte Dossiers zu einzelnen Ländern und Themen. Die sind meist sehr lesenswert und deshalb praktisch das einzige Sammelobjekt, das ich mir über mehrere Umzüge hinweg leiste.

Wenn der Economist sich des Themas Deutschland annimmt, kann es vorkommen, dass SPIEGEL ONLINE oder Handelsblatt den Analysen des britischen Vorbilds längere Artikel widmen. Der aktuelle Deutschland-Survey scheint mir jedoch solche Aufmerksamkeit nicht wirklich verdient zu haben. Geschrieben hat ihn Ludwig Siegele, früher einmal freier Autor für die ZEIT, dann Silicon Valley-Korrespondent für das britische Magazin. Warum man ausgerechnet ihn, den Deutschen, dann im Herbst 2003 als politischen Korrespondenten nach Berlin versetzt hat, ist mir ein Rätsel. Die Deutschland-Berichterstattung lässt jedenfalls zu wünschen übrig. Es fehlt in Siegeles Berichten die originelle Außenperspektive auf das Geschehen hierzulande, und es fehlt, scheint mir zumindest, auch an dem politischem und wirtschaftlichem Know-How, das eine wirklich exzellente Analyse erst möglich macht. Die regulären Deutschland-Berichte des Economist gehen praktisch nie über das hinaus, was man in hiesigen Medien schon mehrfach gelesen, gesehen oder gehört hat.

Für den Survey im Economist der letzten Woche hat sich Siegele natürlich mehr Mühe gegeben, aber auch dieser Text bleibt merkwürdig unbefriedigend. Er klingt, als wolle hier ein Insider einem völllig ahnungslosen Fremden unser Land erklären. Und genau das ist untypisch, zumindest für das, was man von den besseren Teilen des Economist gewohnt ist. Dort wird für gewöhnlich Position bezogen und auf hohem Niveau argumentiert, mit teilweise durchaus riskanten und diskussionswürdigen Thesen. Nichts davon in Siegeles Text. Darin steht natürlich auch nichts grundsätzlich Falsches. Aber er hinterlässt den Leser mit einem ratlosen Achselzucken, bleibt in seiner kritischen Bewertung diffus wie einer dieser unsäglichen SPIEGEL-Titel (allerdings ohne deren arrogante und besserwisserische Attitüde). Schade: diese Lektüre kann man sich sparen.