“Genial gezockt!”

Eine spontane Aufwallung von Sympathie überkam mich jüngst beim Betrachten einer Talkshow. Ihr Gegenstand: der deutsche Politologe und Parteienforscher Jürgen Falter. Zugleich heiter und leidenschaftlich kommentierte er Schröders nonchalantes Manöver in der nordrhein-westfälischen Wahlnacht. Und er schaffte es weit besser als Matthias Richling, der beinahe zeitgleich und ebenfalls sehr sympathisch bei Beckmann versuchte, den Schröderismus auf den Punkt zu bringen.

Das Bild vom Zocker wird bei mir hängenbleiben, und auch der Respekt, den auch mir Schröder neuerdings von Zeit zu Zeit abnötigt, trotz all seiner Mediokrität, seiner schwer erträglichen anstudierten Manierismen, dem Zurechtrücken der Manuskriptblätter mit den hochkant gestellten Händen, dem marionettenhaften von links nach rechts und von rechts nach links Wenden während seiner Reden, so als ginge es immer darum, das gesamte gesellschaftliche Spektrum zuzuknödeln.

Feindbilder

“We are no protectionists”, beteuern die Eurokraten und herangezogenen Verbandsfunktionäre eins ums andere Mal gegenüber den nach Brüssel eingeladenen chinesischen Journalisten. Worauf die junge Pekinger Kollegin irgendwann leicht genervt ausruft: “It seems that in Brussels protectionists are the new Nazis!”

Brüsseler Spitzen

Maximal europäisches Erlebnis: mit englischen Freunden am Fuße des Berlaymont-Gebäudes der Europäischen Kommission im griechischen Lokal sitzen und den Grand Prix d’Eurovision (oder wie heißt das jetzt?) auf der Großbildleinwand ansehen. Mit den anwesenden Griechen jubeln, während sich der Favorit “My Number One” Stück für Stück an eine uneinholbare Spitzenposition hinaufmendelt. Sehr anrührend der Augenblick, wo auch die Türken dem Ex-Feind 12 Punkte zukommen lassen, in der ostmediterranen Schicksalsgemeinschaft Griechenland-Zypern-Türkei. Und später der Moment, wo Viktor Juschtschenko auf die Bühne kommt und sich von Helena Paparizou rechts-links-rechts das nach der Dioxin-Vergiftung von Chlor-Akne entstellte Gesicht küssen lässt.

Attitude

    Zooey rinsed his razor. “Who in hell is Lane?” he asked. Unmistakably, it was the question of a still very young man who, now and then, is not inclined to admit that he knows the first names of certain people.
J.D. Salinger: Zooey

Radikale Vorsorgemaßnahme

Warum fiel in den USA in den 90er Jahren die Kriminalitätsrate? Ein Buch, das im jüngsten Economist rezensiert wird, gibt eine verblüffende und politisch völlig unkorrekte Antwort: Weil ungefähr 20 Jahre zuvor, im Januar 1973, eine Gerichtsentscheidung dafür gesorgt hatte, dass in allen US-Bundesstaaten die Abtreibung legalisiert wurde.

Und von dieser neu gewonnenen Freiheit machten natürlich unter anderem oder sogar vorwiegend jene angehenden Mütter Gebrauch, die ihren Kindern keine gesicherte Zukunft hätten bieten können. So erblickten viele potentielle ‘juvenile delinquents’ erst gar nicht das Licht der Welt.

Asparagus Season

Re-watched Nagisa Oshima’s “Ai No Corrida” (“The Realm of Senses”) from 1976 – probably the first pornographic art movie – after nearly 30 years and liked it very much. Didn’t remember the tenderness of this story, the simple joy of fucking shown.

Never mind the bloody ending. Much more plausible and less disturbing than the average showdown of a Hollywood action movie.

Historical Turn

My reading habits have changed. I read fewer novels. My usual pastime in more indulgent moments, the crime novel, has started to bore me to snoredom. I’m still too impatient and nervous to read books regularly and thoroughly. Newspapers, magazines and the Internet have damaged my intellectual consistency: scanning is the usual mode of intake.

But somehow I get back to the spiritual appetite of my middle university years, when I devoured the classics of Analytical Philosophy after an unhappy affair with Critical Theory and French Blabla. Only now it’s not Frege or Goodman but history and international politics. Must have to do with approaching the magic Five-O threshold.