Here Comes Shirky, Again

Dieser Tage wird der Pop Science-Journalist Malcolm Gladwell sehr gelobt für einen Artikel im New Yorker mit dem Titel “Small Change. Why the Revolution will not be tweeted”. In diesem Artikel argumentiert Gladwell, dass wahre politische Bewegungen mehr benötigen als die ‘weak ties’ von virtuellen Netzwerken. Und er bezieht sich kritisch auf den (ebenfalls in New York arbeitenden) Internet-Theoretiker Clay Shirky, den er als Verfechter eines verfehlten und naiven Glaubens an die politische Macht von Internet-basierten Beziehungsgeflechten angreift.

Hat Clay Shirky eigentlich schon irgendwo auf diesen Angriff geantwortet? Er könnte es unter Hinweis auf einen alten, eigenen Text aus dem Jahr 2004 tun, den er anlässlich des damals gerade bevorstehenden Scheiterns von Howard Dean in seiner Kampagne zur Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat geschrieben hatte.
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Die klugen Elsen

Heute morgen saß ich am Frühstückstisch und las mal wieder brav meine Süddeutsche Zeitung, die bei allerlei schönen Artikeln doch auch ein rechtes Käseblatt sein kann, insbesondere wenn es um Zukunftsmedien geht und nicht gerade Dirk von Gehlen die Feder führt. Heute bin ich bei meiner Lektüre auf folgende Grafik im Wirtschaftsteil gestoßen:

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Man schaue sich einmal diese Kurve mit den erwarteten Verkaufszahlen der E-Reader an! Bei einer solchen Prognose – sie kommt vom führenden Branchenorakel IDC – können die deutschen Verleger doch getrost in ihrer Schockstarre verharren. Schon im Jahr 2014 (woher weiß IDC das eigentlich?) wird der Verkauf von E-Readern zurückgehen und alle irregeführten jungen Leute, die heute vom Kindle oder vom iPad träumen, kehren wieder zum gedruckten Buch zurück! Da braucht man sich ja jetzt nicht zu bemühen, seine Bücher zu digitalisieren und zu halbwegs nachvollziehbaren Preisen auf den elektronischen Markt zu bringen.

Wenn ich dieser Tage wieder die führenden Köpfe der deutschen Verlagsbranche, egal ob Presse oder Buch, unterstützt von ihren Erfüllungsgehilfen in der Politik, über die digitalen Medien und die Zukunft reden höre, bin ich immer an das schöne, traurige Märchen der Brüder Grimm von der Klugen Else erinnert. Für diejenigen, die es nicht mehr präsent haben, hier noch einmal die entscheidende Szene im Keller:

‘Was für ein Unglück ist denn geschehen?, fragte Hans. ‘Ach, lieber Hans,’ sprach die Else, ‘wann wir einander heiraten und haben ein Kind, und es ist groß, und wir schickens vielleicht hierher, Trinken zu zapfen, da kann ihm ja die Kreuzhacke, die da oben ist stecken geblieben, wenn sie herabfallen sollte, den Kopf zerschlagen, daß es liegen bleibt; sollen wir da nicht weinen?’ ‘Nun,’ sprach Hans, ‘mehr Verstand ist für meinen Haushalt nicht nötig; weil du so eine kluge Else bist, so will ich dich haben,’ packte sie bei der Hand und nahm sie mit hinauf und hielt Hochzeit mit ihr.

PS: Ich kenne die IDC-Studie nicht, aber ich wage einmal die Behauptung, dass die Erwartung eines Einbruchs im Markt der E-Reader weniger damit zu tun hat, dass – wie es im Artikel heißt – die “Begeisterung sich legt”, als vielmehr damit, dass in absehbarer Zeit andere Geräte (Smartphones, Tablet-PCs) die Aufgabe dedizierter E-Reader übernehmen werden und diese somit endgültig überflüssig machen.

Die Portale der Chinesen

Gestern habe ich in der Redaktionskonferenz des immer noch reichweitenstärksten deutschen Webportals, T-Online, vor ungefähr 50 Teilnehmern eine Screenkritik vorgetragen. Die Vorbereitung dazu und die Diskussionen, die ich dort geführt habe, haben mir wieder klar gemacht, wie interessant und wichtig es ist, sich mit dem Portalgeschäft zu beschäftigen.

Als typischer Purist eines ‘besseren’ Online-Journalismus hab ich lange über diese spezifische Mischung aus Copy-und-Paste-Journalismus, Service- und Entertainmentangeboten die Nase gerümpft. Viele Jahre war ich außerdem der Meinung, dass das Konzept Webportal ein Auslaufmodell ist, das nur noch durch die Trägheit von Nutzern am Leben erhalten wird, die bei Internetzugang (T-Online), Suche (Yahoo) oder E-Mail (T-Online, Web.de, GMX) auf Seiten hängenbleiben, die ihnen eigentlich nicht mehr bieten, als ein paar Sekunden wohlfeiler Ablenkung. Dass ich mit dieser Auffassung ziemlich falsch lag, habe ich erst über einen längeren Umweg begriffen, der viel mit chinesischen Erfahrungen zu tun hat.

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“Chomsky!” – “Gesundheit!”

Zur Zeit treibt mich die Frage nach der öffentlichen Rolle und Aufgabe von Intellektuellen um. Nachdem ich den größten Teil von Tony Judts Essay- und Porträt-Sammlung “Reappraisals” (auf dem iPad!) gelesen habe, bin ich jetzt bei George Scialabba gelandet: “What Are Intellectuals Good For?”. Das Buch war vor gut einem Jahr Gegenstand eines Seminars in einem meiner Lieblingsblogs (Crooked Timber). Scialabba wiederum erwähnt in seiner Einleitung Noam Chomsky als einen der kompromisslosesten Vertreter einer neuen, geradezu technokratischen intellektuellen Gesellschaftskritik. Er verweist auf einen Aufsatz von 1976 mit dem Titel “Equality: Language Development, Human Intelligence, and Social Organization”, und bezeichnet diesen als

“an exquisitely reasoned piece of moral theory, disentangling more confusions in twenty pages – about the relation of freedom to equality, for instance, or of endowment to desert – than many professional philosophers manage to think their way through in a lifetime.”

In der Tat ist das ein lesenswertes Dokument, das, gerade wenn man es im zeitgeschichtlichen Kontext der 70er Jahre sieht, durch seine schiere gedankliche Kraft und die nerdige Ungeduld beeindruckt, mit der Chomsky durch die Argumente jagt, und seine eher beiläufigen Diagnosen, wie diese:

“In a perfectly functioning capitalist democracy, with no illegitimate abuse of power, freedom will be in effect a kind of commodity; effectively, a person will have as much of it as he can buy.”

(Den wunderschönen Titel dieses kleinen Eintrags verdanke ich meinem Freund Ralf Stoecker, dessen Vorlesungsnotizen während unseres gemeinsamen Philosophiestudiums in den 80er Jahren eine Quelle steten Vergnügens waren.)