Auf der re:publica 13 habe ich mich mit “alten und neuen Aufgaben für die Öffentlich-Rechtlichen in Zeiten des Internet” beschäftigt. Hier nun das leicht polierte Transkript des Vortrags vom 8. Mai 2013. (Crossposting von carta.info)
Take A Ride On The Wild Side
Im Sommer und Herbst 2008 war ich mehrfach zu Gast an der Huazhong University of Science and Technology im zentralchinesischen Wuhan. Wuhan ist eine Großstadt von ungefähr 10 Millionen Einwohnern und liegt am Zusammenfluss des dort schon majestätisch breiten Jangtsekiang mit dem Han-Fluss. Die Hauptstadt der Provinz Hubei hat darüber hinaus eine sehr bewegte und immer wieder rebellische Geschichte: Hier begann im Jahr 1911 mit einem republikanischen Aufstand gegen das Kaiserreich die chinesische Revolution.
Aber das ist es nicht, was ich erzählen möchte. Bei einem meiner Ausflüge von der Hauptstadt Peking nach Wuhan war ich zu geizig, um mir ein Taxi vom ca 30 km entfernten Flughafen zu leisten und setzte mich stattdessen in den Shuttlebus. Für gewöhnlich sind die öffentlichen Verkehrsmittel in chinesischen Großstädten zwar oft voll, aber modern und komfortabel, und die Netze gut ausgebaut. Und obwohl Wuhan lange nicht so reich ist wie die großen Metropolen Peking, Shanghai oder Guangzhou, sah auch hier alles okay aus.
Das Abenteuer begann auf der Stadtautobahn vom Flughafen in die City, als ein offensichtlich leerer anderer Linienbus auf der Überholspur an unserem vollbesetzten Shuttlebus vorbeizog – anscheinend eine unerträgliche Provokation für unseren Fahrer. Im schon recht lebendigen Feierabendverkehr nahm er die Verfolgung auf. Es folgte eine zunächst noch mehr unterhaltsame als bedrohliche Hochgeschwindigkeitstour auf der linken Spur. Ohne Erfolg, der leere Bus war schneller und blieb vor uns.
Dramatisch wurde es dann nach der ersten Ampel. Denn was unserem Fahrer durch schieres Gasgeben auf der Autobahn nicht gelungen war, versuchte er jetzt im nun wirklich dichten Stadtverkehr mit kreativer Fahrtechnik. Da ging es von einer Spur zur anderen, unser Bus drängte sich zwischen andere Fahrzeuge, der Fahrer trieb ihn über Gehsteigkanten und Blumenrabatten und schließlich sogar mehrfach auf die Gegenfahrbahnen.
Eine gefühlte halbe Stunde lang setzte sich der verbissene Wettstreit so fort – die Fahrgäste, die anfänglich noch Ruhe bewahrt hatten, gaben mittlerweile kleine panische Schreie von sich, einzelne mutige Herren versuchten unseren Fahrer zur Disziplin zu rufen, aber er reagierte auf keinerlei Ansprache.
Doch der andere Fahrer war einfach besser. Nur selten kriegten wir mal kurz die Flanke des verfolgten Busses zu sehen – meistens sahen wir ihn nur von hinten. Irgendwann dann bog er in eine Seitenstraße ab und der Spuk war vorüber. Mit einer längeren Schimpfkanonade im Hubei-Dialekt kommentierte unser Fahrer seine Niederlage und lieferte uns schließlich an unseren fahrplanmäßigen Zielen in der Innenstadt ab.
Ein paar Jahre später traf ich eine meiner Studentinnen aus Wuhan in Berlin wieder und erzählte ihr von meinem Erlebnis. “Oh, yes”, sagte sie mit einem breiten Grinsen: “They are known for this. Wuhan bus drivers are crazy…!”
Heute nun wird mir die folgende Fotoserie aus einem Posting von Sina Weibo zugespielt, die vieles erklärt: Zu sehen ist ein Busfahrer aus Wuhan, wie er sich in Seelenruhe einen Schuss setzt, bevor er seine Fahrt beginnt…
Theorieferne
Es war mal cool, eine Theorie zu vertreten. Wissenschaftler – und wer wollte das nicht sein – hatten eine Theorie zu haben, oder doch zumindest eine Methode.
Kürzlich ließ ein uns bekannter chinesischer Medienwissenschaftler anfragen, welcher Methode sein deutscher Kollege denn folgen würde. Als die Frage an mich weitergetragen wurde, habe ich erstmal mit Befremden reagiert. Methode bei was? Beim Meditieren oder Joggen? Im Unterricht? Oder meinte er tatsächlich bei der Forschung? An Fachhochschulen wird nicht geforscht. Und wenn doch, so gibt es natürlich keine Antwort auf die Frage nach der EINEN Methode. Je nach Fragestellung wird man unterschiedlich vorgehen, mal qualitativ, mal quantitativ, mal empirisch, mal begriffsanalytisch.
Methoden sind Werkzeuge, und das gleiche gilt in gewisser Weise auch für Theorien, die Modelle, die unser Handeln lenken. Ein guter Handwerker kennt seine Werkzeuge – und ihre Grenzen. Die Wirklichkeit ist zu kompliziert für Theorien. Es liegt nahe zu folgern, dass die Anwendung von Theorien der Wirklichkeit immer Gewalt antut. Wissenschaftliche und philosophische Schulen stehen der Erkenntnis nur im Wege. Der deutsche Philosoph Odo Marquard hat mal geschrieben: “Die Geschichtsphilosophen haben die Welt nur verschieden verändert. Es kommt aber darauf an, sie zu verschonen.”
Und dennoch ist Theorieferne auch schädlich. Heute hat sich einer meiner Kollegen über den Mangel an genuin theoretischen Diskussionen in seiner Standesvereinigung beklagt. Ich glaube, er meinte: Denkfaulheit. Odo Marquard ist Ironiker. Ironie und Zynismus sind immer gute Tarnungen für Denkfaulheit. Wir kommen ja gar nicht umhin, Theorien anzuwenden. Wir können die Welt nicht verschonen. Aber wir haben die Verantwortung, unsere Werkzeuge immer weiter zu schärfen. Das heißt, wir müssen theoretische Diskussionen führen, Diskussionen über und immer wieder gegen Theorien.
In diesem Sinne schließe ich mit einer kleinen Anekdote, die ich gestern auf Twitter gelesen habe:
Großes Gelächter in der Notaufnahme. Eine Mutter bringt putzmunteres Kleinkind, das sämtliche Döschen Globuli leergefuttert hat… .-))
— Wolfgang Unglaub (@littlewisehen) May 12, 2013
Hu Yong’s Motto
Pierre Bourdieu once said: “Journalism is one of the areas where you find the greatest number of people who are anxious, dissatisfied, rebellious, or cynically resigned”.
After a career of more than ten years in the news, I hope that I can lose my fear, conquer my greed, maintain my rebelliousness, not curry any favors. The wise are not puzzled, and the brave are not afraid, but, the benevolent will always be worried (智者不惑, 勇者不惧, 仁者有忧).
in an interview at Danwei, April 16th, 2009
Ein prominenter Gast
Ein Höhepunkt der letzten Tage war die Begegnung mit Hu Yong (@huyong), dem chinesischen Jurymitglied für die Best-of-Blog Awards der Deutschen Welle. Hu Yong hat dazu beigetragen, dass Li Chengpeng den Hauptpreis gewonnen hat, ein junger chinesischer Schriftsteller, der sich couragiert für eine offenere Gesellschaft in China einsetzt, und dessen Microblog regelmäßig von über 7 Millionen Chinesen gelesen wird. Über Li Chengpeng werde ich bei anderer Gelegenheit einmal mehr erzählen.
Hu Yong selbst ist ein ehemaliger Journalist und erfahrener Internet-Aktivist. Er unterrichtet zurzeit Medienwissenschaften am Journalismus-Institut der renommierten Bei Da (Beijing University). Anders als manche seiner Kollegen bewegt er sich auch in westlichen Öffentlichkeiten souverän, und seine kleine Laudatio auf Preisträger Li war ein Musterstück an konziser und prägnanter Würdigung. Auf die Frage aus dem Publikum, worauf es beim Internet-Aktivismus unter widrigen Bedingungen ankomme, war seine Antwort: “Videos, Videos, and again: Videos!”
Im privaten Gespräch haben wir ihn später gefragt, wie er Meinungsführerschaft definiert (er hatte Li Chengpeng als ‘opinion leader’ bezeichnet). Seine Antwort: Meinungsführer hätten zum einen die Kraft, die Agenda zu beeinflussen. Ihr Einfluss lasse sich aber auch an den teilweise unerfüllten Erwartungen ablesen, die ihre Follower an sie herantragen.
Wer Hu Yongs kluge und exzellent informierte Beiträge zum chinesischen Internet kennenlernen möchte, sei auf die Übersetzungen seiner Texte bei ChinaFile, dem China Media Project und den China Digital Times, sowie auf ein ausführliches Interview bei Danwei verwiesen.
Born in 1909
A much beloved person has just passed away in a southern chinese city, during their early morning hours. Grandma Wan Duancen(万端岑), may your passage have been a peaceful one!
Berlin-Graz
Gerade war ich mit der Familie im Park und wir haben unsere neue Slackline ausprobiert. Über dem Viktoriaquartier hängen Gewitterwolken, aber die Abendsonne taucht die Ostfassade der Neubauten vor unserem Haus immer wieder in mattgoldenes Licht.
Heute mittag bin ich mit dem Fahrrad zum Prenzlauer Berg gefahren und habe Heinz Wittenbrink (@heinz) getroffen. Im Café Anna Blume, der Eier im Glas wegen, die sie dort servieren. Dafür gab es kein WLAN (Schnarchnasen!). Heinz und ich haben über Content Strategy (sein Thema) und große Ressortportale für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (mein Thema) gesprochen. Nachdem wir die Berührungspunkte der beiden Themen markiert hatten, entstand aus ersten Annäherungen so etwas wie eine österreichisch-deutsche Projektidee.
In unserem Gespräch klang die re:publica 13 nach, die gestern zu Ende gegangen ist. Das ‘Festival’, wie es Markus Beckedahl und seine Leute inzwischen nennen, war ein entspannter Spaß und eine prima Bühne für meine aktuellen Überlegungen über die gesellschaftliche Verantwortung der Öffentlich-Rechtlichen für den Journalismus im Internet – fast 70 @-mentions auf Twitter zu meinem Vortrag und viele gute Gespräche zeigen mir, dass es einen großen Resonanzraum dafür gibt und machen mir Mut, mich künftig etwas offensiver in das Spiel einzumischen.