Meng Zi und die Partei

In [meinem letzten Posting](http://www.scarlatti.de/?p=1469) hatte ich über die Maßnahmen zur sozialen Stabilisierung gesprochen, die die chinesischen Obrigkeiten anwenden, um des allgemeinen herrschenden Unmuts Herr zu werden, und hatte aus einem Artikel des Caijing Magazine zitiert, in dem die Mechanismen der Unmutskontrolle detailliert beschrieben werden.

Sam Crane, Autor des Blogs “The Useless Tree” und Experte für chinesische Philosophie, knüpft an die von mir angesprochene Diskussion an und zitiert in diesem Zusammenhang zwei Quellen.

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Stolz und Unzufriedenheit

Immer wieder fügen sich die kleineren Geschichten, die Blogs und professionelle Medien aus China heraustragen, zu größeren Bildern zusammen, die einen manchmal amüsieren, oft aber auch erschrecken oder deprimieren können.

I.

Heute zum Beispiel lese ich, dass fünf Dutzend prominente Köpfe aus dem High-Tech-Sektor sich in Shanghai versammelt haben, um anlässlich des bevorstehenden 90jährigen Jubiläums der Kommunistischen Partei Chinas [revolutionäre Lieder zu singen und sich die Predigt eines Parteikaders anzuhören](http://blogs.wsj.com/chinarealtime/2011/06/09/chinese-tech-ceos-pledge-to-walk-red-road/?mod=WSJBlog). Darunter Robin Li, der Chef des Suchmaschinen-Giganten Baidu, und die beiden Chefs der großen Internetportale Sina und Sohu, Charles Chao und Charles Zhang.

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Internet, Social Media und die Rückkehr des Politischen in China

Mein [Vortrag von der **re:publica 11**](http://re-publica.de/11/blog/person/lorenz-meyer-lorenz/) ist seit einiger Zeit im Videomitschnitt online:

**Dazu ein paar Updates:**

* *Fang Binxing*, Präsident der [Beijing University of Post and Telecommunication](http://www.bupt.edu.cn/) und ‘Vater der Großen Firewall’, den ich in meinem Vortrag auch kurz zu Wort kommen lasse, hat wenige Tage nach meinem Vortrag ein Missgeschick ereilt.

Bei einem Gastvortrag an der Universität der [traditionell rebellischen](http://en.wikipedia.org/wiki/Wuhan#Wuchang_Uprising) mittelchinesischen Großstadt Wuhan warf ihm ein Student [einen Schuh an den Kopf](http://shanghaiist.com/2011/05/19/father_of_great_firewall_attacked_w.php). Bereits vorher hatte es Diskussionen über diese Aktion auf Twitter gegeben. Es wurden verschiedene Belohnungen ausgelobt, einige davon [nicht ganz jugendfrei…](http://twitter.com/#!/limlouisa/statuses/71131867235094529) 😉

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Der 35. Mai

Unter den Stichworten, die in China zu einer Zensur von Beiträgen im Internet führen, gehört auch der [“35. Mai”](http://chinadigitaltimes.net/space/The_thirty-fifth_of_May). Man muss nur kurz überlegen, warum: Der Mai hat 31 Tage, der 35. Mai entspricht also dem (heutigen) 4. Juni. Am 4. Juni 1989 wurde die Freiheitsbewegung am Tian An Men gewaltsam niedergeschlagen.

Deutsche kennen dieses Datum [aus einem ganz anderen Zusammenhang.](http://de.wikipedia.org/wiki/Der_35._Mai_oder_Konrad_reitet_in_die_S%C3%BCdsee) Aber vielleicht hat der visionäre Erich Kästner geahnt, welche Bedeutung sein fiktives Datum einmal bekommen würde:

Angeregt von der Idee des Pferdes gehen die drei durch den Dielenschrank und gelangen in eine Phantasiewelt, in der die seltsamsten Dinge passieren. So durchlaufen sie verschiedenste Länder, unter anderem: […] Die verkehrte Welt, in der Kinder die Aufgaben von Erwachsenen übernehmen, tyrannische Erwachsene hingegen in eine Benimmschule geschickt werden.

*(Quelle: [Wikipedia](http://de.wikipedia.org/wiki/Der_35._Mai_oder_Konrad_reitet_in_die_S%C3%BCdsee))*

Die chinesische Kulturrevolution als Stoff eines berühmten deutschen Kinderbuchs – nur dass es sich bei Kästner anders als in China um eine eher freundliche Vision handelt.

(Übrigens wusste Kästner auch schon vom “Taschentelefon”!)

Kein Fenster

Die Shanghaier Anwältin Li Tiantian gehört zu den Opfern der letzten großen Verhaftungswelle in China. Seit etwa einer Woche ist sie wieder auf freiem Fuß. Zunächst veröffentlichte sie in ihrem (inzwischen gesperrten) Blog nur einen [sehr verschlüsselten Bericht über ihre dreimonatige Haft](http://www.siweiluozi.net/2011/05/li-tiantian-fable-of-hornet-bird-and.html), doch seit dem 27. Mai erzählt Li auf Twitter detailliert über ihre Erfahrungen. Ein paar Auszüge:

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Wochenrückblick KW 21

* David Bandurski [analysiert die widersprüchlichen Signale](http://cmp.hku.hk/2011/05/27/12748/), die in den letzten Tagen von der parteioffiziellen Zeitung People’s Daily ausgingen. Dort gab es neben üblichen Rufen zu Ordnung und Disziplin (die PR-Abteilungen bestimmter Partei- und Regierungsabteilungen haben in PD ihre eigenen “Autorennamen”) in den letzten Wochen einige Leitartikel mit bemerkenswerten Appellen zu mehr Vernunft, Toleranz und einer größeren Offenheit gegenüber Nöten und Stimmen aus der Bevölkerung.

Bandurski verweist auf eigene frühere Analysen zu den aktuellen Frontlinien zwischen Hardlinern und Moderaten innerhalb der KPCh und erinnert an den bevorstehenden Führungswechsel in der Partei im Jahre 2012. Die Hardliner (wie Ex-Handelsminister Bo Xilai in Chongqing) stehen für die immense Ausweitung des Sicherheitsapparates in den letzten Monaten und können für die Welle an Entführungen und willkürlichen Verhaftungen von Anwälten, Bloggern und Bürgerrechtlern verantwortlich gemacht werden.

Bandurski illustriert die ambivalente Rolle von People’s Daily anhand eines Konfliktes in den frühen 80er Jahren, als der PD-Chefredakteur Hu Jiwei sich erfolgreich gegen Anfeindungen des Hardliners Hu Qiaomu behaupten konnte. Damals ging es um den Demokratie-Aktivisten Wei Jingsheng.

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Mit angezogener Handbremse

Alle (fünf) Jahre wieder: Eine kurze Einschätzung des aktuellen Stands im Online-Journalismus hat der Kollege Thomas Mrazek von mir erfragt. Das Interview wird in der Neuauflage der netzwerk recherche-Werkstatt “Online-Journalismus” Ende November 2010 erscheinen.

Thomas Mrazek / netzwerk recherche: Sie bezeichnen sich selbst als „typischer Purist eines ‘besseren’ Online-Journalismus“: Wie sehen Sie den aktuellen Zustand des Online-Journalismus in Deutschland, was läuft gut, was läuft weniger gut?

Lorenz Lorenz-Meyer: Der Online-Journalismus in Deutschland fährt immer noch mit angezogener Handbremse. Solange Verleger und Altjournalisten in Abwehrhaltung gegenüber den digitalen Medien erstarrt bleiben, und solange falsche Erfolgskriterien wie möglichst große Reichweiten oder Geschwindigkeit vorherrschen, wird sich das auch nicht ändern. Wir brauchen viel, viel mutigere Produkt- und Formatentwicklungen, die dann mit einem deutlich längerem Atem betrieben werden müssen. Natürlich beherrschen Online-Redaktionen wie die der Welt oder der Zeit mittlerweile recht gut ihr Handwerk, aber die meisten Produkte sind weiterhin viel zu sehr am Paradigma des schnellen Nachrichtenjournalismus orientiert und fallen damit der Redundanz und Beliebigkeit anheim. Und sie bewegen sich einfach zu wenig.

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Tage des Lachses

<em>Liu Xiaobo (Foto: Wikimedia)</em>
Liu Xiaobo (Foto: Wikimedia)

Seit gestern mittag bekannt wurde, dass der inhaftierte chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält, rollt eine große Welle der Aufregung und des Glücks durch China und seine Online-Communities. Trotz massiver Zensurmaßnahmen wird das Ereignis überall im Netz gefeiert, vor allem in den schwer zu kontrollierenden Mikroblogs.

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