Verspätungsalarm auf dem 36c3

David Kriesel repräsentiert eine neue Form des Public Intellectual, er ist ein Public Data Scientist. Seinen Vortrag über die Arbeit der SPIEGEL-ONLINE-Redaktion, den er vor drei Jahren auf dem 33c3 gehalten hat, zeige ich regelmäßig meinen Studierenden als ein Lehrstück nicht nur über die Grundlagen des Datenjournalismus, sondern auch über aktuellen Onlinejournalismus. Kriesel nutzt offene Schnittstellen und schaut anhand von öffentlich zugänglichen Daten von außen in eine Organisation hinein. Solch eine ‘statistische Phänomenologie’ ist natürlich nicht ganz frei von Risiken und Fehlerquellen (wie Kriesel selbst redlicherweise auch immer wieder betont), aber es ist trotzdem erhellend und eröffnet eine neue Sicht auf wichtige gesellschaftliche Akteure.

David Kriesel bei der Arbeit (Screenshot / YouTube)

Jetzt hat David Kriesel wieder zugeschlagen und vor mehr als 5.000 Teilnehmer*innen auf dem 36c3 in Leipzig die (Un-)Pünktlichkeit der Deutschen Bahn anhand – wie er es gerne nennt – ‘vorratsdatengespeicherter’ Fahrplandaten rekonstruiert. Die Ergebnisse sind unterm Strich wenig überraschend: Die Bahn hübscht ihre Verspätungsstatistik auf, indem sie ausgefallene Züge herausrechnet, es gibt im Netz der Deutschen Bahn Krisenregionen (Nordrhein-Westfalen, insbesondere rund um Köln und Bonn) und Verspätungs-Hotspots (Frankfurt und Hamburg), ICEs sind besonders hitzeausfallanfällig etc. All das wird jeder Dauerfernpendler sofort aus eigener Erfahrung bestätigen können. Aber abgesehen davon, dass David Kriesel diese Einsichten auf eine unvergleichlich lustige und anschauliche Weise präsentiert, besteht in der Vorhersehbarkeit der Ergebnisse für den leidgeplagten Bahnkunden gerade eine Befriedigung. Endlich wird einmal objektiv und mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen, worunter wir dauerhaft, kollektiv und zugleich irgendwie allein gelassen, Woche für Woche zu leiden haben.