Interface Design
BBC stellt zur Tibetfrage zwei Experten im Internet einander gegenüber und lässt sie am Gerüst von sieben Fragen in kurzen Videostatements die Positionen der beiden ‘offiziellen’ Konfliktparteien darstellen. Das ist sehr systematisch und übersichtlich, aber ich finde es im Resultat erstaunlich unbefriedigend.
Zunächst einmal: Man muss sich sehr viel Zeit nehmen, und dies fällt umso mehr auf, als man insgesamt vierzehn mal auf “Start” klicken muss, um alle Videos anzusehen. Aber auch inhaltlich ist das Experiment missglückt. Die Positionen stehen einander ohne Nuance und ohne Vermittlung gegenüber. In einer Talkshow hätten die Kontrahenten aufeinander reagieren können. Hier ist es (sehr bewusst, natürlich) so eingerichtet, dass die Positionen unwidersprochen und ohne jede bewertende Einordnung bleiben.
Man hat das Gefühl, ein guter Journalist hätte in einem Text die Positionen sehr viel effizienter zu einander in Beziehung setzen können, und insgesamt wünscht man sich den Atem eines Dialogs oder eine kluge Bewertung anstelle dieser statischen Konfrontation.
Tag der Trauer, Tag der Ermutigung
Genau eine Woche ist es jetzt her, dass ein gewaltiges Erdbeben weite Teile der chinesischen Provinz Sichuan verwüstet hat. Noch immer sind Rettungstrupps unterwegs, auch wenn die Aussichten, noch Überlebende unter den Trümmern zu finden, praktisch gleich Null sind. Die Gefahr von Überschwemmungen, von Seuchen, von Trinkwassermangel, auch von Nachbeben ist keineswegs gebannt. Und selbst wenn irgendwann die akuten Bedrohungen vorüber sind: Tausende von Familien haben ihre Kinder verloren und sind somit auch ihrer Zukunft beraubt, die Wiederaufbauarbeiten in der Region werden Jahre dauern.
Für die Chinesen ist dies ein wahrhaft bemerkenswertes Jahr. Erst die Schneekatastrophe im Süden des Landes während des Neujahrsfests, dann die Tibetkrise mit dem erstaunlichen Unverständnis des Westens für die chinesische Wahrnehmung des Konflikts. Ein schweres Zugunglück und eine tödliche Seuche unter Kleinkindern als bittere Intermezzi, bevor Mutter Erde das Land dann mit seiner schwersten Herausforderung seit langem konfrontiert.
Meinen Freunden in der Redaktion des Internetportals sohu.com ist in dieser Situation etwas sehr Eindrucksvolles gelungen. Auf einer Sonderseite haben sie die chinesische Nation mit einem Slogan ermuntert, der aus dem Umfeld des Sports, also auch der Olympischen Spiele stammt: “加油, 中国! Jia You, Zhongguo!” – wörtlich: “Gib Gas, China!” oder vielleicht besser: “Du schaffst es, China!”
Der Slogan, der manchen wegen seiner sportlichen Konnotation angesichts einer so großen menschlichen Katastrophe zunächst unangemessen erschien, verbreitete sich während der letzten Tage wie ein Lauffeuer. Das staatliche Fernsehen CCTV übernahm ihn, und heute riefen Zehntausende auf den großen Trauerkundgebungen am Tian An Men Platz und anderswo “Jia You, Zhongguo!”, “Jia You, Sichuan!”
Man mag Nationalismus für eine fragwürdige und gefährliche Sache halten: Angesichts großen Unglücks ist nationale Solidarität eine mächtige Quelle des Trosts und und der Ermutigung. Und wer weiß, vielleicht begreifen jetzt ja auch einige Menschen im Westen, was es für die Chinesen bedeuten muss, sich Stück für Stück aus jahrzehntelanger Armut und Demütigung herauszuarbeiten, wie zerbrechlich dieser Fortschritt und dieses Glück sind, und wie viele Rückschläge diese Menschen immer wieder erdulden müssen.
Small Is Beautiful
Mit einem herzhaften Gruß nach München:
“Not only do small (Long Tail) publishers monetize their content at 3-5 times the rate of the larger publishers in PubMatic’s survey, but they’re improving in the current environment while the big publisher decline. ”
(Chris Anderson erklärt die jüngsten Daten des PubMatic AdPrice Index)
Wird Zeit, dass sich die Gralshüter des deutschen Onlinejournalismus von ihrem liebsten Fetisch: der unqualifizierten Reichweite, verabschieden.
(Via Olaf Kolbrück via Hugo E. Martin)
Spielräume
Der neue Journalismus, so hat meine geschätzte Kollegin Christiane Schulzki-Haddouti kürzlich gefordert, solle diskursiv sein. Und sie wird nicht müde, diese Diskursbereitschaft auch von ihrem ‘stillen’ Projektpartner einzufordern. Doch der scheitert schon daran, ihre meist wirklich relevanten und immer klugen Blogbeiträge eines Kommentares zu würdigen.
Warum? Ich kann es gar nicht genau sagen. Ist es einfach Trägheit? Oder ein Übermaß an Input, das die Fokussierung auf einige wenige Gesprächszusammenhänge erschwert? Überdruß angesichts der tausend Diskussionen, die bereits durchs Internet raunen? Mir persönlich geht es zumindest so, dass ich die Diskursivität des Social Web in der Theorie weit mehr begrüße als in der Praxis. Dort habe ich ein starkes, sehr emotionales Bedürfnis nach Ruhe, auch nach meinem eigenen Schweigen.
Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt auch die Sucht nach den Feeds, nach den vielen, klugen Stimmen. Meine Befindlichkeit im Netz entspricht häufig der, die ich von Partybesuchen kenne. Ich möchte mich irgendwo mit einem guten Drink ruhig in die Ecke setzen und dem Treiben zuschauen. Ich hab nichts dagegen, wenn sich jemand zu mir setzt, mit dem ich meine Beobachtungen teilen kann. Aber in den größten Trubel möchte ich nicht hineingezogen werden.
Aber dann gibt es auch Momente, da hätte ich gerne eine Resonanz und bin enttäuscht, wenn sie nicht kommt. Kürzlich wurde ein Kollege in einem Zeitungsartikel mit einer recht gewagte These über die deutsche Blogosphäre zitiert. Ich habe ihn per Mail nach einer Erläuterung gefragt, mit der Ankündigung, seine Antwort hier im Blog zu veröffentlichen. Diese Antwort habe ich auch nach mehrfachem Nachhaken nicht bekommen. Vielleicht ist ihm klargeworden, dass die ursprüngliche These nicht zu halten ist.
Ein paar Tage später streite ich mich mit einem anderen alten Freund und Kollegen am Telefon über die wirtschaftliche Zukunft des Micropublishing. Wieder hake ich per Mail nach, bitte ihn um die Gründe für seine Position – diesmal, vorsichtig geworden, ohne die ‘Drohung’, seine Antwort zu publizieren. Auch hier: Keine Antwort.
Kann ich den beiden ihren Widerstand verübeln? Nicht wirklich. Beide stehen unter hohem Druck. Hätten wir unsere Gespräche bei einem Glas Wein fortgesetzt, ich hätte meine Antworten wahrscheinlich bekommen. Vorm Computer fehlt es einfach an der notwendigen Gelassenheit. Der viel beschworene mündige Diskurs benötigt größere Spielräume, als wir sie zur Zeit erwarten können.
Eigentlich sollten wir abtreten
Letzten Dienstag abend stand ich völlig unerwartet einem der Chefredakteure von Neon gegenüber. Mit dem üblichen Taktgefühl hab ich die Gelegenheit gleich genutzt und ihm von einem Stimmungswandel unter meinen Studenten berichtet: “Neon? Super, muss man unbedingt lesen!” oder “Da möchte ich später arbeiten!”, lauteten noch vor zwei Jahren die Standardreaktionen auf das Münchner Magazin. Und heute? “Langweilig!” – “Ich hab doch keine Lust, jeden Monat die gleichen Geschichten zu lesen!”
Um einmal Carrie-Bradshaw-mäßig ein paar Fragen in den Raum zu stellen: Brauchen Redakteure eines Jugendmagazins vielleicht ein Verfallsdatum? Oder dürfen sie – wie Neon-Chef Timm Klotzek und einige seiner Kollegen – in Dienst und Ehren ergrauen?
Die Neon-Truppe jedenfalls will nicht so schnell freiwillig abtreten. Sie hat erstmal auch keinen Grund dazu: Trotz der Signale aus meiner kleinen focus group verkauft sich die Zeitschrift momentan so gut wie nie. Außerdem hat man sich noch etwas anderes einfallen lassen: Neon hat gerade ein Recherchestipendium für junge Journalisten ausgeschrieben. Jeweils 10.000 Euro gibt es “für die fünf lohnenswertesten Geschichten”. Grauenhaftes Deutsch, aber eine gute Idee. Ich würde jetzt gerne behaupten, dass mein kleines Gespräch mit dem Chefredakteur dazu den Anstoß gegeben hat. Aber ich weiß zu viel über die Schwerfälligkeit von Entscheidungsprozessen in Großverlagen, um daran zu glauben – zumal wenn so viel Geld im Spiel ist. Schade eigentlich…
Unterrichtsstunde
Heute hatten wir im Seminar Rudolf Schmenger zu Besuch. Es ging um Whistleblowing.
Schmenger, einst Amtsrat und Steuerfahnder am Finanzamt Frankfurt V-Höchst, war Anfang 2007 von seinen Dienstherren unfreiwillig in den Vorruhestand versetzt worden. Er hatte sich ab 2001 gemeinsam mit Kollegen gegen Anordnungen zur Wehr gesetzt, nur noch extrem großteiligen Geldtransfer ins Ausland zu verfolgen und damit ein Großteil der Steuersünder aus der Frankfurter Finanzwelt von der Angel zu lassen. Ein gutes Dutzend seiner Kollegen verlieren in dem Konflikt ebenfalls ihren Job, die meisten anderen, die die ursprüngliche Protestnote unterstützt hatten, knicken auf Druck der Dienststelle ein.
Schmenger wird zwangsversetzt, verleumdet, gemobbt. Er gewinnt zwar einen Prozess, doch der Druck ist zu groß. Denn auch Finanzminister Weimar und die CDU-Landtagsfraktion unterstützen die Kampagne gegen den Rebellen. Als Steuerfahnder wollen sie ihn nie wieder arbeiten sehen.
Auch heute, nachdem er erklärtermaßen mit seinem Karrierebruch Frieden geschlossen hat – Schmenger arbeitet mittlerweile als Steuerberater – merkt man ihm die jahrelange Anspannung an. Und die Empörung darüber, dass man als Beamter kaum eine Möglichkeit hat, aus dem Korsett von Amts-, Dienst- und, in seinem Fall, Steuergeheimnis auszubrechen. Wer als Beamter vor Gericht aussagen will, muss sich zuvor die Genehmigung seines Vorgesetzten holen. Pikant, wenn es im Verfahren um eben jenen Vorgesetzten geht.
Kürzlich sind Schmenger und seine Kollegen in einem Buch des Frankfurter Journalisten Jürgen Roth erneut zu Wort gekommen. Ein Artikel im SPIEGEL führt dazu, dass die hessische Landesärztekammer sich gerade den Gutachter etwas genauer anschaut, der im Auftrag der Finanzbehörde dem aufsässigen Steuerfahnder eine “paranoid-querulatorische Entwicklung” bescheinigt hatte. Auch die Liechtenstein-Affäre hat noch einmal etwas Dynamik in die Situation gebracht. Schmenger wird auf einmal wieder angehört. Ein weiterer Artikel in einer überregionalen Publikation steht an.
Doch das macht ihn nicht optimistischer: Für mindestens zwei Dienstgenerationen, so meint Rudolf Schmenger, werde sich bei den hessischen Steuerfahndern niemand mehr trauen, Rückgrat zu zeigen. Zu genau erinnere man sich daran, wie diejenigen abgeschossen wurden, die es zuletzt versuchten.
Hamburg im Mai
Vorbei: Zweieinhalb Tage Crashkurs Internetjournalismus, keine Theorie mehr, keine einzige Powerpointfolie, sondern eine praktische Einführung ins Bloggen, Schritt für Schritt: Blog aufsetzen, CC-lizenzierte Bilder suchen, Header gestalten, Nachbar porträtieren, Texte schön machen, Bilder im Netz bearbeiten, blogrollen, Fotos machen und hochladen, Meinung zeigen, andere Meinungen kommentieren, per Handy ‘live’ podcasten. Fabian Mohrs eindrucksvollen Empfehlungen folgen, dabei wieder Tränen vergießen, Bildergalerien vertonen, Videos einbinden.
Hat richtig Spaß gemacht, diesmal.
Der Stand der Dinge (en passant)
Weil ich grad nichts anderes zu posten habe: ein paar Interview-Antworten, die ich Ende März David Röthler für eine Geschichte zum Stand des deutschsprachigen Online-Journalismus gegeben habe. (Röthlers Artikel erscheint demnächst im österreichischen “Journalist”.)
Trauerspiel SpOn (Forts.)
Sie begreifen es einfach nicht. Die Bürosessel-Korrespondenten bei Spiegel Online können sich einfach nicht vorstellen, dass nicht alle Chinesen entweder unterdrückt oder von ihrer Regierung ferngesteuerte Roboter sind. Und dass ausgerechnet ihre eigene strunzdumme Berichterstattung zu jenem gewaltigen Schub an Nationalismus, jenem Schulterschluss mit dem ‘Regime’ beiträgt, den wir in den letzten Wochen in China beobachten konnten – und der nun wahrlich nicht nötig gewesen wäre.
Man beachte auch die wieder einmal wirklich bemerkenswerte Einhaltung der journalistischen Sorgfaltsregeln: Da reicht ein einziger Informant aus der Agenturmeldung, noch dazu von der Gegenpartei, für die steile These der Überschrift. Zitat aus dem Artikel: “Einer der Tibet-Aktivisten warf der chinesischen Regierung vor, sie habe den Gegendemonstranten Fahrt- und Verpflegungskosten erstattet, damit sie nach Canberra kommen.” Selbst wenn dieses Gerücht stimmen sollte – und es ist nicht Aufgabe des Journalismus, Gerüchte zu verbreiten – kann man sicher sein, dass die chinesische Regierung zur Zeit niemanden nötigen muss, an pro-chinesischen Kundgebungen teilzunehmen. Da finden sich genug Freiwillige.