Obsidian ist im Kern ein leistungsfähiger Markdown-Editor mit Funktionen für persönliches Wissensmanagement und Luhmanns Zettelkasten-Technik, und steht damit in Konkurrenz zu Produkten wie den gerade sehr kultigen Programme Roam Research oder Notion. Anders als diese beiden ist Obsidian aber nicht abhängig vom Anbieter und der Cloud. Man arbeitet an einem Datenbestand von Textdateien auf der lokalen Festplatte, die dann bei Bedarf über mehrere Geräte synchronisiert werden können. Insofern ähnelt es dem ebenfalls sehr mächtigen Zettlr, das der sympathische Hendrik Erz aus Hamburg gerade unter Hochdruck entwickelt.
Auch wenn die Obsidian-Software nicht (wie Zettlr) Open Source ist, ist die Verwendung für private Nutzer (noch) kostenlos. Die Entwickler sind Shida Li und Erica Xu, zwei junge kanadische Informatikerïnnen, die an der Universität Waterloo in Ontario studiert haben.
Was jedoch – neben der sowieso schon beeindruckenden Funktionalität der Software – den besonderen Charme des Obsidian-Kosmos ausmacht, und es auch ein wenig von Zettlr abhebt, ist die Community. Das Programm ist mit Plugins erweiterbar, und die meisten Plugins kommen von Nutzerïnnen. Das Entwicklungstempo und die Responsivität auf die Wünsche der Community ist atemberaubend. Man tauscht sich in einem Forum und einem Discord-Kanal aus, ein wöchentlicher Newsletter dokumentiert die relevanten Ereignisse und Neuerungen.
Die Verfasserin des Newsletters, Eleanor Konig, ist Historikerin und in ihrer Freizeit Autorin von historisch inspirierter Fantasy-Literatur. Und damit ist auch schon ein interessanter Anwendungsbereich für Obsidian angesprochen: die Unterstützung umfangreicher und komplexer Schreibprozesse. Gerade werden zaghafte Versuche unternommen, mit einem Longform-Plugin und einem Plugin zur grafischen Verwaltung von Textfragmenten und Szenen (Corkboard) der Über-Software für Schriftsteller, Scrivener, Konkurrenz zu machen. Was die Verwaltung von Wissensressourcen und das Worldbuilding angeht, ist Obsidian mit seinem offenen Konzept untereinander verlinkter Notizen der zwar gut abgehangenen, aber im Resultat doch sehr starren Architektur von Scrivener sowieso schon überlegen. Wenn jetzt auch noch das Szenen-Management und die Kompilierungs- und Output-Routinen aufgebohrt werden, ist das Ziel bald erreicht.
Noch nicht vollständig ausgereift sind bislang leider auch die Schnittstellen zu akademischen Literaturverwaltungsprogrammen wie Zotero. Hier sind nach meinem ersten Eindruck Roam Research und der direkte Konkurrent Zettlr schon weiter. Es ist in Obsidian mit Hilfe von Plugins zwar möglich, pdf-Anmerkungen aus der Zotero-Datenbank als Markdown-Files in das Obsidian-Vault zu importieren oder Zitierverweise aus einem Bibtex- oder json-Export von Zotero zu generieren. Wenn man dann aber zum Beispiel den Zitierstil ändern oder aus den zitierten Quellen eine Bibliographie generieren möchte, wird es schnell kompliziert. Letzteres macht Zettlr automatisch.
Aber sowas ist alles nur eine Frage der Zeit, und es macht einfach Spaß, dem Obsidian-Kosmos mit seiner lebendigen Community beim Erwachsenwerden zuzusehen. Und da die beiden Programme auch weitgehend kompatibel sind (mit kleinen, meist vermeidbaren Ausnahmen), kann man zur Not auch zwischen ihnen wechseln.