Im Sommer und Herbst 2008 war ich mehrfach zu Gast an der Huazhong University of Science and Technology im zentralchinesischen Wuhan. Wuhan ist eine Großstadt von ungefähr 10 Millionen Einwohnern und liegt am Zusammenfluss des dort schon majestätisch breiten Jangtsekiang mit dem Han-Fluss. Die Hauptstadt der Provinz Hubei hat darüber hinaus eine sehr bewegte und immer wieder rebellische Geschichte: Hier begann im Jahr 1911 mit einem republikanischen Aufstand gegen das Kaiserreich die chinesische Revolution.
Aber das ist es nicht, was ich erzählen möchte. Bei einem meiner Ausflüge von der Hauptstadt Peking nach Wuhan war ich zu geizig, um mir ein Taxi vom ca 30 km entfernten Flughafen zu leisten und setzte mich stattdessen in den Shuttlebus. Für gewöhnlich sind die öffentlichen Verkehrsmittel in chinesischen Großstädten zwar oft voll, aber modern und komfortabel, und die Netze gut ausgebaut. Und obwohl Wuhan lange nicht so reich ist wie die großen Metropolen Peking, Shanghai oder Guangzhou, sah auch hier alles okay aus.
Das Abenteuer begann auf der Stadtautobahn vom Flughafen in die City, als ein offensichtlich leerer anderer Linienbus auf der Überholspur an unserem vollbesetzten Shuttlebus vorbeizog – anscheinend eine unerträgliche Provokation für unseren Fahrer. Im schon recht lebendigen Feierabendverkehr nahm er die Verfolgung auf. Es folgte eine zunächst noch mehr unterhaltsame als bedrohliche Hochgeschwindigkeitstour auf der linken Spur. Ohne Erfolg, der leere Bus war schneller und blieb vor uns.
Dramatisch wurde es dann nach der ersten Ampel. Denn was unserem Fahrer durch schieres Gasgeben auf der Autobahn nicht gelungen war, versuchte er jetzt im nun wirklich dichten Stadtverkehr mit kreativer Fahrtechnik. Da ging es von einer Spur zur anderen, unser Bus drängte sich zwischen andere Fahrzeuge, der Fahrer trieb ihn über Gehsteigkanten und Blumenrabatten und schließlich sogar mehrfach auf die Gegenfahrbahnen.
Eine gefühlte halbe Stunde lang setzte sich der verbissene Wettstreit so fort – die Fahrgäste, die anfänglich noch Ruhe bewahrt hatten, gaben mittlerweile kleine panische Schreie von sich, einzelne mutige Herren versuchten unseren Fahrer zur Disziplin zu rufen, aber er reagierte auf keinerlei Ansprache.
Doch der andere Fahrer war einfach besser. Nur selten kriegten wir mal kurz die Flanke des verfolgten Busses zu sehen – meistens sahen wir ihn nur von hinten. Irgendwann dann bog er in eine Seitenstraße ab und der Spuk war vorüber. Mit einer längeren Schimpfkanonade im Hubei-Dialekt kommentierte unser Fahrer seine Niederlage und lieferte uns schließlich an unseren fahrplanmäßigen Zielen in der Innenstadt ab.
Ein paar Jahre später traf ich eine meiner Studentinnen aus Wuhan in Berlin wieder und erzählte ihr von meinem Erlebnis. “Oh, yes”, sagte sie mit einem breiten Grinsen: “They are known for this. Wuhan bus drivers are crazy…!”
Heute nun wird mir die folgende Fotoserie aus einem Posting von Sina Weibo zugespielt, die vieles erklärt: Zu sehen ist ein Busfahrer aus Wuhan, wie er sich in Seelenruhe einen Schuss setzt, bevor er seine Fahrt beginnt…