Twitter ist ohne Zweifel eine tolle Sache. Gar nicht so leicht, sich gelegentlich dem Sog des Zwitscherns zu entziehen. Dabei geht es nicht nur um die Privatheit des eigenen Lebens, auch Kommunikation in der Gruppe beruht oft auf deren zumindest temporärer Abgeschlossenheit, auf dem unmittelbaren Vertrauen, das zwischen denen entsteht, die zusammengekommen sind.
Würden wir anders reden, wenn wir wüssten, dass draußen an der Tür 10 Leute lauschen? Selbstverständlich. Befangener. Abgelenkt. Wir brauchen eine Twitter-Policy für Gruppen. Und eine ausgiebige Diskussion über den Begriff des Vertrauens.
Ich denke, es ist relativ einfach: Man muss alle Anwesenden darüber informieren, wenn man aus einer Situation heraus zwitschert. So, wie man ja auch ein Gespräch nicht heimlich mitschneiden darf oder sich als Journalist zu erkennen geben sollte, wenn man berichten will (außer in den seltenen begründeten Fällen verdeckter Recherche).
Da geht es nicht nur um Vertrauen, sondern ganz grundsätzlich um die Funktionen von Privatheit und verschiedenen Ebenen der Öffentlichkeit. Was, wenn ich mich nicht mehr darauf verlassen kann, dass ich wirklich nur zu den Leuten rede, die ich gerade vor mir habe? Wenn ich nicht mehr weiß, ob ich mich gerade im Privaten oder Öffentlichen bewege? Die oben genannten Regeln sind ja aus Prinzipien von Demokratie und Freiheit entstanden – es ist ein Merkmal totalitärer Staaten, dass ich nie weiß, wer mithört. Und das zerstört jede offene Kommunikation. Okay, das ist jetzt hoch gegriffen, aber ich glaube, da liegt schon Sprengstoff…
Es ist ja nicht nur die Öffnung nach außen, es ist auch das Entstehen von intransparenten Kommunikationsebenen innerhalb der Gruppe, äquivalent dem Tuscheln (eine weitere mögliche Übersetzung von “to twitter”?). Ich hab selbst mal böse Schelte von einer Studentin bekommen, weil ich während ihres Referats per IM eine (völlig harmlose) Meldung an einen ihrer Kommilitonen im Raum abgesetzt habe und wir beide spontan lachen mussten. Vollkommen berechtigt, oder? 🙂
Ja, tuscheln – oder auch der Klatsch – bergen immer die Möglichkeit, dass etwas über mich geredet wird, was ich nicht erfahre. Das muss nicht mal böse sein, aber ich weiß nicht was und habe nicht die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Insofern verstehe ich die Reaktion der Studentin, die ja nicht wußte, ob über sie gelacht wurde. Und außerdem schließe ich in dem Moment andere von der Kommunikation aus, bilde eine Gruppe in der Gruppe, und sowas ist leicht kränkend.
Da sehe ich aber auch den Unterschied zu Twitter: Im Unterschied zum Tuscheln ist der Empfängerkreis potenziell offen, das heißt auch derjenige über den geredet wird, kann das möglicherweise erfahren. Aber dafür hat es nicht die Flüchtigkeit und Privatheit, die Tuscheln oder Klatsch haben. Beim Zwitschern wird die Kommunikationsebene unabgesprochen geändert. Das ist als ob ich mich in meiner Wohnung bewege und eine Kamera überträgt das heimlich in die ganze Welt. Da muss gar nicht passieren, was ich verbergen will – aber der geschützte Raum wird verletzt. Je öffentlicher ein Raum ist, desto mehr schützt man sich: Man überlegt genauer, was man sagt oder bereitet es sogar vor, kleidet sich anders, sogar die Stimme ändert sich. Im Privaten sind wir unbefangener, im Öffentlichen kontrollierter. Promis wissen, wie grausam Öffentlichkeit sein kann.
[…] So hatte sich einer unserer Professoren bereits nach einem ersten Diskussionsansatz bei den Zweitsemestern auf seinem Blog hier und hier seine Gedanken dazu gemacht, … […]