Das Leben der Anderen (und das eigene)

Die Diskussionen ums twittern, die wir eben auch offline weitergeführt haben, ziehen bei mir eine ganze Reihe anderer Überlegungen nach sich. Zum Beispiel über den Begriff der Diskretion. Der ist weitgehend positiv konnotiert, im Unterschied zum Begriff der Heimlichkeit. Wer diskret ist, hält zurück, was andere eigentlich auch nichts angeht. Eine diskrete Gesprächspartnerin ist insofern eine gute Gesprächspartnerin, als sie auch dann nichts weiterträgt, wenn nicht ausdrücklich Geheimhaltung vereinbart war. Organisationen, die Probleme diskret zu lösen verstehen, haben unseren Respekt, selbst wenn sie uns ein bisschen unheimlich sind.

Heimlichkeit hingegen hat immer den Ruch, dass hier Informationen zurückgehalten werden, die andere eigentlich etwas angehen. In dieser Opposition etwas angehen/nichts angehen steckt der Kern einer jeden Kommunikationsethik, und damit auch der journalistischen Ethik. Ein Sachverhalt geht mich etwas an, wenn er das Potential hat, positive oder negative Auswirkungen auf mich oder eine meiner Communities zu haben.

Bei positiven Auswirkungen sind wir etwas toleranter und erlauben Heimlichkeit zum Beispiel, solange der Sachverhalt noch nicht abgeschlossen oder in seinen Auswirkungen noch nicht eindeutig geklärt ist (die Auswahl des Geburtstagsgeschenks). Bei negativen Auswirkungen gibt es in Grenzfällen eine ähnliche Lizenz zur Heimlichkeit, nämlich wenn (1) die Auswirkungen noch nicht eindeutig geklärt sind und (2) am Ausgang des Geschehens sowieso grad nichts zu ändern wäre (der auf die Erde zurasende Asteroid). Für alle anderen Bereiche erheben wir normalerweise den Anspruch, über das informiert zu werden, was uns angeht, und der Journalismus hat den Auftrag, diesen Anspruch zu erfüllen.

Der Begriff der Diskretion ist zwiespältig, weil er einen Bereich aus der Kommunikation ausschließt, der potentiell durchaus von Interesse sein kann. Diskrete Gesprächspartner sind nur gute Gesprächspartner, insofern sie unsere Geheimnisse zu wahren wissen. Darüber hinaus können sie sehr mysteriös, aber auch gleichzeitig sehr langweilig sein.

Boulevardjournalismus ist normalerweise indiskreter Journalismus. Es gehört zu seinen Marktgesetzen, dass er uns oft über Sachverhalte berichtet, die uns nichts angehen, die wir aber interessant finden.

In einem ähnlichen Sinne könnte man auch versucht sein zu sagen, das Internet sei ein indiskretes Medium: Wir können dort vieles erfahren, was uns nichts angeht. Doch das wäre ein Trugsschluss. Das Internet ist ebensowenig ein indiskretes Medium wie Weblogs Journalismus (oder Müll) sind. Medien sind in den wenigsten Fällen per se so oder so. Es kommt auf den Gebrauch an, den man von ihnen macht.

Womit wir wieder bei Twitter wären…