Während wir hier in Deutschland unter dem Hashtag #metwo Erlebnisberichte über den Alltagsrassismus lesen und diskutieren müssen, dem viele als fremd empfundene Mitbürger immer wieder ausgesetzt sind, tobt in China gerade eine Neuauflage der klassischen #metoo-Debatte.
Nach einer ersten Welle vor einigen Monaten, in der Frauen überwiegend Erfahrungen mit ihren Professoren an Hochschulen geteilt und diskutiert hatten, sind es jetzt vor allem Medienmacher und öffentliche Intellektuelle, denen sexuelle Übergriffigkeit und Missbrauch vorgeworfen werden. Die Staatsmacht ist ein bisschen verwirrt und lässt der Diskussion zunächst weitgehend freien Lauf. Immerhin zählen viele der Bezichtigten zur liberalen Elite, die der Partei eh ein Dorn im Auge ist. Aber es besteht ja die Gefahr, dass irgendwann auch Funktionäre aus Partei oder Staatsbetrieben in den Fokus geraten, und dann ist natürlich Schluss mit lustig.
Q hat gleich zu Beginn der Debatte für ein Online-Medium in Hongkong einen Artikel über die kulturellen und strukturellen Rahmenbedingungen geschrieben, die chinesische Mädchen und Frauen zu perfekten Opfern sexueller Gewalt machen. Der Artikel hatte innerhalb von 2 Tagen mehr als eine halbe Million LeserInnen, und jetzt ist sie praktisch rund um die Uhr eingebunden in eine gewaltige, teilweise hart geführte öffentliche Diskussion mit täglich neuen Enthüllungen, Verteidigungsgefechten der Täter und ihrer Sympathisanten und einer ständig wachsenden, sehr artikulierten und zunehmend ermächtigten Masse Betroffener.
Schon früh war ein prominenter Fernsehmoderator, Gastgeber der legendären TV-Gala zum chinesischen Neujahrsfest, unter Druck geraten. Heute veröffentlichen Mönche eines berühmten buddhistischen Klosters, viele von ihnen Absolventen chinesischer Eliteuniversitäten wie Qinghua in Beijing, einen akribisch recherchierten Bericht über die Missbrauchsgeschichte ihres leitenden Abtes. In Fällen wie diesen, wenn es um Personen geht, die ihre Autorität mit Einverständnis und im Glanz der Staatsmacht ausüben, reagieren die Zensurbehörden dann doch nervös, und die einschlägigen Namen und Stichworte geraten auf die Bannlisten der Suchmaschinen.
Dennoch zeigt die Bewegung, dass trotz der totalitären Entwicklungen im China unter Xi Jinping pessimistische Prognosen über das Ende der chinesischen Zivilgesellschaft verfrüht sind.