In ihrem autobiographisch angehauchten Roman Among Others beschreibt die walisisch-kanadische Science-Fiction-Autorin Jo Walton die Freuden eines SF-Lesezirkels – getrübt nur durch das schlechte Gewissen der Protagonistin, die meint, sich ihren ‘Karass’ unverdient und möglicherweise auf Kosten anderer ‘erzaubert’ zu haben.
Jo Walton selbst war Anfang des Jahres Thema eines Lektüreprojekts meines Lieblingsblogs Crooked Timber. Genau genommen: Die ersten zwei ihrer mittlerweile drei Thessalien-Romane (The Just City und The Philosopher Kings), in denen es um ein Experiment der Göttergeschwister Athene und Apollo geht, die politische Utopie aus Platos Republik, mit einer Versuchsgruppe von 10.000 befreiten Sklavenkindern und einem historischen Querschnitt gelehrter Platoniker als Lehrern, zu erproben und letztlich an der Realität scheitern zu lassen.
Dass diese Utopie scheitern muss, weiß heutzutage jedes Schulkind (oder: meint, es zu wissen) – wie Jo Waltons Kollegin Ada Palmer in ihrem wirklich phantastischen Beitrag zum Lesekreis auf Crooked Timber berichtet, auf Erfahrungen mit Studierenden in ihren ideengeschichtlichen Proseminaren in den USA gestützt. Im Buch ist es der von Athene vom Sterbebett entführte und in die ‘gerechte Stadt’ importierte Sokrates, der die fatalen Risse und Brüche im Projekt endgültig sichtbar macht (und dafür natürlich büßen muss).
Ich habe bislang nur den ersten der drei Thessalien-Romane gelesen. Obwohl ich das Buch mochte, und Jo Walton für eine sympathische und gute Autorin halte, hatte es mich zunächst nicht sonderlich gefesselt oder gedanklich beschäftigt.
Umso eindrucksvoller dann jetzt die Lektüre der Beiträge aus dem Lesekreis auf Crooked Timber: Was alles diese klugen, in Lektüre und Debatte geschulten Köpfe aus so einem Buch herausholen können! Teilnehmerinnen wie Maria Farrell und Sumana Harihareswara erarbeiten Waltons feministische Perspektive, Henry Farrell beschäftigt sich mit der Rolle der (von Plato vergleichsweise gering geschätzten) Kunst in Waltons Geschichte. Der Historiker Neville Morley beleuchtet die aus dem dramaturgischen Mittel der Zeitreise erwachsenden Spannungen zwischen Idee und Geschichte. Belle Waring fragt sich, ob Platos (und Waltons) Sokrates eine ‘Mary-Sue’ sei: eine Kunstfigur, die vor allem der Wunscherfüllung der Autoren oder der Leserschaft dient. Und besagte Ada Palmer schließlich, die in ihrem gerade erschienenen SF-Roman Too Like The Lightning ebenfalls die Konsequenzen philosophischer Ideen erprobt, schlägt einen wirklich großen Bogen über die vielfältigen Motive und Bedeutungsebenen der Geschichte, so dass Jo Walton in den Kommentaren enthusiastisch (und ein wenig erleichtert) ausruft: “I think this wonderful post answers some questions people were asking in comments on some of the others.”
Walton selbst antwortet auf die Beiträge schließlich nicht in propria persona, sie lässt stattdessen ihre Protagonisten reagieren: Apollo kommt zu Wort, Sokrates, die viktorianische Altphilologin Maia, und auch der Roboter Crocus, dessen Person-Werdung Sokrates in The Just City begleitet und befördert.
Wie in Among Others ist auch in diesem Karass eine gehörige Portion Zauberei im Spiel.