Der neue Journalismus, so hat meine geschätzte Kollegin Christiane Schulzki-Haddouti kürzlich gefordert, solle diskursiv sein. Und sie wird nicht müde, diese Diskursbereitschaft auch von ihrem ‘stillen’ Projektpartner einzufordern. Doch der scheitert schon daran, ihre meist wirklich relevanten und immer klugen Blogbeiträge eines Kommentares zu würdigen.
Warum? Ich kann es gar nicht genau sagen. Ist es einfach Trägheit? Oder ein Übermaß an Input, das die Fokussierung auf einige wenige Gesprächszusammenhänge erschwert? Überdruß angesichts der tausend Diskussionen, die bereits durchs Internet raunen? Mir persönlich geht es zumindest so, dass ich die Diskursivität des Social Web in der Theorie weit mehr begrüße als in der Praxis. Dort habe ich ein starkes, sehr emotionales Bedürfnis nach Ruhe, auch nach meinem eigenen Schweigen.
Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt auch die Sucht nach den Feeds, nach den vielen, klugen Stimmen. Meine Befindlichkeit im Netz entspricht häufig der, die ich von Partybesuchen kenne. Ich möchte mich irgendwo mit einem guten Drink ruhig in die Ecke setzen und dem Treiben zuschauen. Ich hab nichts dagegen, wenn sich jemand zu mir setzt, mit dem ich meine Beobachtungen teilen kann. Aber in den größten Trubel möchte ich nicht hineingezogen werden.
Aber dann gibt es auch Momente, da hätte ich gerne eine Resonanz und bin enttäuscht, wenn sie nicht kommt. Kürzlich wurde ein Kollege in einem Zeitungsartikel mit einer recht gewagte These über die deutsche Blogosphäre zitiert. Ich habe ihn per Mail nach einer Erläuterung gefragt, mit der Ankündigung, seine Antwort hier im Blog zu veröffentlichen. Diese Antwort habe ich auch nach mehrfachem Nachhaken nicht bekommen. Vielleicht ist ihm klargeworden, dass die ursprüngliche These nicht zu halten ist.
Ein paar Tage später streite ich mich mit einem anderen alten Freund und Kollegen am Telefon über die wirtschaftliche Zukunft des Micropublishing. Wieder hake ich per Mail nach, bitte ihn um die Gründe für seine Position – diesmal, vorsichtig geworden, ohne die ‘Drohung’, seine Antwort zu publizieren. Auch hier: Keine Antwort.
Kann ich den beiden ihren Widerstand verübeln? Nicht wirklich. Beide stehen unter hohem Druck. Hätten wir unsere Gespräche bei einem Glas Wein fortgesetzt, ich hätte meine Antworten wahrscheinlich bekommen. Vorm Computer fehlt es einfach an der notwendigen Gelassenheit. Der viel beschworene mündige Diskurs benötigt größere Spielräume, als wir sie zur Zeit erwarten können.
[…] Warum? Ich kann es gar nicht genau sagen. Ist es einfach Trägheit? Oder ein Übermaß an Input, das die Fokussierung auf einige wenige Gesprächszusammenhänge erschwert? Ein Überdruß angesichts der tausend Diskussionen, die bereits durchs Internet raunen? […]
Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr sich diese Diskussion über die Trägheit im sonst so kommunikativen Web momentan häuft – nicht nur mit Blick auf journalistische Diskussionen.
Robert Basic hat sich schon seine Gedanken zur Kommentier- und Diskutier-Faulheit gemacht (und ich selbst konnte einer kurzen Zusammenfassung auch nicht wiederstehen). Der werte Kersten hat in meinen Kommentaren Augstein zitiert, man solle nicht kommentieren/ schreiben/ sprechen, wenn man nichts zu sagen hat.
Vielleicht ist es wirklich der Druck des immer nach neuem Wissen dürstenden Social Web, der es so manchem erschwert sich zu bestimmten Themen zu äußern oder eigene Thesen zu vertreten.
Uns wurde in den ersten Semestern ja beigebracht, dass Journalismus beobachtend sein soll – der diskursive Ansatz ist als “nächster Schritt” auf jeden Fall reizvoll, allerdings wohl noch nicht in der breiten Basis angekommen. Dafür müssten die meisten in der Flut von Informationen wohl erst noch ihren Blick für das diskussionswürdige Wesentliche schärfen.
Ja, Ihr Beitrag und Kerstens Reaktion auf Twitter und in Ihren Kommentaren waren auch ein weiterer, indirekter Anstoß zu diesen Überlegungen. Sorry, ich hätte das erwähnen sollen.
Noch eine Anmerkung zu Kerstens schönem Augstein-Zitat. Das ist natürlich auch eine bequeme Ausrede. So funktioniert es zumindest bei mir. Denn “etwas zu sagen zu haben” ist immer auch Arbeit. Man weiß, dass ein Thema eigentlich wichtig ist, hat vielleicht auch eine noch unbestimmte Intuition darüber, wie es zu bewerten sei. Aber um zu einer mitteilenswerten Meinung zu kommen, müsste man sich weiter informieren und nachdenken. Und das strengt an. Also lässt man es und redet sich darauf hinaus, dass man dazu nichts zu sagen habe. Demokratie ist mühsam.
Oh, der kleine Hinweis auf meinen Artikel sollte kein Fishing for compliments sein. Die Ähnlichkeiten der laufenden Diskussionen sprang mir nur förmlich ins Auge.
Dass eine eigene Meinung (Denk-)Arbeit voraussetzt ist vielen wohl wirklich zu viel Aufwand – gerade wenn es darum geht diese auch mal “zu Papier zu bringen” oder zu diskutieren (ich nehme mich da nicht aus der Verantwortung, könnte ich doch auch öfters mal den Mund aufmachen). Allerdings finde ich es gerade im Web sehr Schade, dass sich viele nicht trauen, da sie hier noch halbwegs von ihrer Anonymität profitieren können. Obwohl, wie ich finde, fundierte Meinungen sich nicht verstecken brauchen…
Danke für die Blumen – und die sehr schön formulierte Entschuldigung. Jetzt scheint es so, als wäre ich nie um einen Kommentar verlegen. Stimmt nicht. Die ersten Monate zu bloggen (war ja dein Vorschlag, Lorenz!) fiel mehr sehr schwer. Und vorher hatte ich auch nie Blogeinträge kommentiert (denn ich war es ja gewohnt, kommentiert zu werden!). Also kannte ich diese Art des Schreibens nicht. Das lag nicht daran, dass mir die Technik schwer gefallen wäre oder das Schreiben, sondern daran, eine passende Haltung zu entwickeln. Ich komme ja aus der Nachrichtenwelt – da denkt man sich so einiges, berichtet dann aber möglichst neutral mit möglichst vielen stimmigen Fakten und Kommentaren. Die eigene Meinung drückt sich indirekt eher durch die Intensität und Breite der Recherche sowie dem Verlauf des roten Fadens im Bericht aus. Das macht erstmal richtig Arbeit, ja. Aber wenn man im Thema ist, ist es relativ leicht.
Beim Bloggen beschäftigte ich mich nun mit Themen, die mich etwa seit 1996 begleiten, aber mit denen ich mich vorher eher am Rande explizit auseinandergesetzt hatte. Schwierig fand ich es, nicht zu viel von dem zu schreiben, was ich tatsächlich mache (das soll ja in die Studie rein), aber dennoch so eine Art Meta-Diskurs zu finden, so etwas, was während der Arbeit immer wieder hier und dort auffällt. Der Anlass zu schreiben bestand vor allem daran, meinen Gedanken, die während der aktiven Auseinandersetzung mit einem Thema aufsprangen, etwas Raum und Luft zu geben. Und ich habe auch gemerkt, dass wenn keine intensive Auseinandersetzung stattfindet, auch nichts in Fluss kommt. Gleichwohl habe ich bei Themen, in denen ich mich erst richtig einarbeiten muss, Hemmungen etwas zu schreiben. Über das Thema Redaktion, Journalismus usw. ging das einfach, das Thema Wissensmanagement hingegen fand ich schon deutlich kniffliger. Und da ist dann schon die Angst da, zu sehr Banales zu schreiben. Dann lässt man es lieber und wartet noch ab. Das ist vielleicht auch das Dilemma aller Wissenschaftsblogs – man möchte erst schreiben, wenn man meint, etwas wirklich verstanden zu haben.
Ich habe relativ schnell gemerkt, dass es hinsichtlich der Resonanz gar nichts bringt, irgendwie Fakten wiederzugeben, die woanders schon standen. Also nicht-exklusive Kurzzusammenfassungen zu machen, zu berichten. Für Referenzen verwende ich als Notizbuch den del.icio.us-Account. Ich erwarte auch, dass immer mehr Blogger das ähnlich machen. Dafür muss man die Beiträge doch so formulieren, dass sie Diskussionen auslösen können. Sonst ist das ganze diskursive Potenzial des Bloggens verschenkt.
Die Diskussion hat bei mir in einem anderen Bereich einiges losgetreten. Ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken darum, wie man Qualitäts-PR beschreiben kann und wie sich deren Anforderungen mit den Anforderungen an den Qualitätsjournalismus vertragen, ergänzen – oder vielleicht auch widersprechen? Hier habe ich mal erste Ideen dazu aufgeschrieben: http://storyboard.blogger.de/stories/1128308/
@Christiane: Ja, Linkkataloge gibt es genug. Es fehlt an gut begründeten Meinungen, und einer Diskussion darüber. Dafür sollte die Blogosphäre eigentlich gut sein. Von dw-world.de weiß ich, dass die Redaktion bei einem Interaktionskonzept Modell ’96 (keine Foren, keine Diskussionen unter den Artikeln, sondern schlicht eine Einladung zum Leserbrief-Schreiben) großen Erfolg damit hat, ihren Lesern zu einem Artikel eine Frage mit auf den Weg zu geben, die sogenannte “Feedback-Frage”. Du machst ja ähnliche Erfahrungen auf KoopTech. Wenn man genügend Leser hat (deutlich mehr als ich hier auf Scarlatti) und stellt eine gute Frage in den Raum, stößt das für gewöhnlich Diskussionen an.
Die beiden oben geschilderten Fälle zeigen, dass das Frage-Stellen bei einer direkten, privaten Ansprache nicht so gut zu funktionieren scheint, selbst wenn eigentlich eine persönliche Ebene da ist, die den Gesprächsbeginn erleichtern könnte.
Ich lerne: Wenn ich eine Diskussion über den vermeintlich entpolitisierten Charakter der deutschen Blogosphäre anstoßen will, oder über den Einfluss des AGOF-Planungstools auf die Entwicklung des hiesigen Online-Journalismus, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als hier genügend Aufmerksamkeit zu generieren, um eine kritische Masse an Diskussion interessierter Leser zu generieren. Vielleicht erreiche ich damit irgendwann auch die, mit denen ich eigentlich über die Themen reden wollte. Aber zwingen kann ich sie nicht. Community ist nicht steuerbar.
@Kerstin: Ich hatte dich ja bereits auf die Spuren meines Kollegen Thomas Pleil gesetzt. Wenn du denen weiter folgst, wirst du mit Sicherheit einige weitere, gute Anregungen zum Thema finden. Letztlich glaube ich, dass viele Qualitätsdimensionen eines zeitgemäßen Journalismus Entsprechungen auch in der PR finden: Offenheit und Transparenz, Mut und Beweglichkeit, Crossmedialität, etc.
Zum Thema “Community ist nicht steuerbar” – kam mir heute der Gedanke, dass der Begriff “Community-Management” genauso ein Rohrkrepierer ist wie der Begriff “Wissens-Management”. Hinter beiden Begriffen steckt ein systemisches Konzept, das überhaupt nicht die realen Dynamismen abbildet, sondern reines Wunschdenken von oben reflektiert. Und ich wage zu behaupten, dass das auch der Grund dafür ist, dass es mit den Communities nicht so klappt in den großen Medien. Es würde nämlich dann klappen, wenn man anerkennen würde, dass diese Prozesse zyklisch verlaufen und dass das qualifizierte Feedback wie auch die Integration in die Arbeitsprozesse eine große Rolle spielt.
Beim Wissensmanagement wird das seit ein paar Jahren theoretisch bereits anerkannt (der Begriff hat dennoch überlebt), beim Community-Management sehe ich ein solches Erwachen (noch) nicht.
Was das konkret für ein kleines Blog bedeutet? Ich denke, es müsste stärker die eigenen gedanklichen Prozesse zu bestimmten Themen abbilden (“Offenheit”, “Transparenz”, “Lernkultur”), um die Leser überhaupt faszinieren zu können. Und müsste dann natürlich auch in einen Dialog mit den Lesern eintreten.
Theo Hülshoff hat mir kürzlich übrigens etwas zur Lernnatur des Menschen erzählt – sie basiert auf “Dialog”, “Handeln / Arbeiten”, “Spiel / Simulation” und “Feiern”. Ich habe den Verdacht, dass das auch die wahren Erfolgsfaktoren für wissensbasierte Dinge sind.
@Lorenz: Ja, den Thomas Pleil lese ich, und ich finde mich in vielem wieder. Die von dir genannten Qualitäten sind absolut Teil einer zeitgemäßen PR. Den entscheidenden Satz sagt aber imho Pleil: “Weil Beziehungen nur zwischen Menschen funktionieren und Vernetzung nur, wenn sich das möglichst viele zur Aufgabe machen.”
PR funktioniert heute nicht mehr, wenn sie sich als PR versteht. Kein Mensch, schon gar kein Journalist will mit gelackten PR-Typen kommunizieren. Daher wird die Aufgabe eines PR-Beraters ebenso wie einer PR-Abteilung in Zukunft vor allem die sein, Unternehmen, Manager, Teams zu coachen, so dass sie selbst authentisch und direkt mit den Medien kommunizieren.
Ich schreib da noch mehr zu, in meinem Blog. Morgen.